Herkunft und Heimat zu Weihnachten - "davon Jesaja sagt"

Nachricht 19. Dezember 2019
Bevollmächtigte OLKR Dr. Kerstin Gäfgen-Track und OLKR Andrea Radtke; Fotos: J. Schulze, St. Heinze.

Die Bevollmächtigten OLKR Kerstin Gäfgen-Track und OLKR Andrea Radtke schreiben im Weihnachtsbrief der Konföderation ev. Kirchen in Nds., Dezember 2019:

„Driving home for Christmas … With a thousand memories“. Mit seinem Song trifft Chris Rea einen Nerv dessen, was die meisten Menschen mit Weihnachten verbinden. Die Fahrt nach Hause, hin zu Vertrautem, in heimatliche Gefilde. Dazu kommt oft die Erwartung von Gästen mit vielerlei Vorbereitungen, damit sie sich wohlfühlen, wie Zuhause. Das Weihnachtsfest als Teil dessen, was christliches Leben prägt, erzählt von dem, wo wir herkommen, dem Zusammensein mit Eltern und Geschwistern, der Großfamilie, Nachbarn, Freundinnen und Freunden. Verbunden damit sind unzählige Erinnerungen an wunderbare wie anstrengende Momente. Das Weihnachtsfest steht wie kein anderes christliches Fest für Herkunft und Heimat.  

Von der Herkunft Jesu Christi, von seiner Heimat erzählt die biblische Weihnachtsgeschichte. Der Geburt Jesu in Bethlehem voran stellt der Evangelist Matthäus in seinem „Buch der Geschichte Jesu Christi“ den Stammbaum des Kindes. Er beginnt mit Abraham, der Isaak zeugte, geht über Jakob weiter hin zu Isai, dem Vater König Davids, weiter über viele Geschlechter hin zu Josef, dem Mann Marias. Jesus ist verwurzelt im Judentum und wird mit seiner Abstammung aus dem Hause Davids als der verheißene Erlöser, der Messias, gesehen.

In dieser Perspektive verweist das Evangelium auf Isai, zu Deutsch auch „Jesse“. Die „Wurzel Jesse“ ist, wenn heute überhaupt noch bekannt, deshalb vom Namen her ein Begriff, weil sie in dem Weihnachtslied „Es ist ein Ros entsprungen“ besungen wird:
Es ist ein Ros entsprungen aus einer Wurzel zart, wie uns die Alten sungen, von Jesse kam die Art…“[1]
Die Wurzel Jesse stammt ursprünglich aus einem Wort des Propheten Jesaja: „Und es wird ein Reis hervorgehen aus dem Stamm Isais und ein Zweig aus seiner Wurzel Frucht bringen. Auf ihm wird ruhen der Geist des Herrn, der Geist der Weisheit und des Verstandes, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und der Furcht des Herrn. (…) Und es wird geschehen zu der Zeit, dass die Wurzel Isais dasteht als Zeichen für die Völker. Nach ihm werden die Völker fragen, und die Stätte, da er wohnt, wird herrlich sein.“ (Jesaja 11,1-2.10) Im Lied vom „Ros“ erklingt der „Reis“, erklingt der „Spross“ aus dem Stamm Isais.

Diese biblische Verheißung des Propheten ist Israel gesagt, ist an gläubige Jüdinnen und Juden unserer Tage adressiert. Der Evangelist Matthäus, der Apostel Paulus (Römer 15,12) und später das Kirchenlied zitieren den Propheten Jesaja, denn bei ihm kommt etwas zur Sprache, das auch Menschen christlichen Glaubens etwas zu sagen hat.[2] Die Hoffnung auf eine Welt des Friedens und der Gerechtigkeit, in der die Elenden zu ihrem Recht kommen, die Gewalttätigen besiegt werden. Die Worte der Prophetie aus der Hebräischen Bibel verschmelzen mit christlicher Glaubenshoffnung.

Das Lied „Es ist ein Ros entsprungen“ erinnert auch an eine Herkunft, die durch die deutsche Geschichte geprägt ist. 1941 gaben die nationalsozialistisch gesinnten „Deutschen Christen“ ein Gesangbuch heraus mit zensierten und umgedichteten Liedern. Alles Jüdische sollte aus dem kirchlichen Liedgut entfernt werden. Aus „von Jesse kam die Art“ wurde „von wunderbarer Art“ und aus „davon Jesaja sagt“ in der zweiten Strophe „davon die Kunde sagt“.
Sich der eigenen Herkunft zu vergewissern, heißt auch, die Schuldgeschichte nicht zu verschweigen. Zu oft vergessen wir Christinnen und Christen auch heute noch, wie viel unser Glaube der jüdischen Wurzel verdankt, und dass wir auch in Zukunft, um christliches Leben zu gestalten, das Gespräch mit Jüdinnen und Juden unserer Tage brauchen.

Die Wurzel Jesse ist auch ein Symbol für das Verwurzelt-Sein in einer Gemeinschaft von Menschen, die von der biblischer Tradition her im Glauben an Gott verbunden sind. Kein Mensch ist Mensch für sich allein. Mit einer rabbinischen Auslegung unserer Tage: „Wer glaubt, dass er sich der Verantwortung für das Gemeinwohl entziehen kann und meint, sich das Leben damit einfacher zu machen, dem sei gesagt, dass einer Person erwiesenermaßen ein schlimmer Zustand droht, nämlich: Wurzellosigkeit und Einsamkeit“.[3]

Die Herkunft weist in die Zukunft, in die weihnachtliche Verheißung vom Frieden auf Erden, für Israel, für alle Völker, für alle Menschen. „Das Blümelein[4] so kleine, das duftet uns so süß; mit seinem hellen Scheine vertreibt’s die Finsternis.“
In diesem „hellen Schein“ feiern wir Weihnachten. Und in diesem Jahr feiern jüdische Gemeinden zur gleichen Zeit ihr „Lichterfest“ Chanukka.[5]

Wir wünschen Ihnen ein gesegnetes, friedvolles Fest,
Ihre Kerstin Gäfgen-Track und Andrea Radtke 


[2] In Anlehnung an Jürgen Ebach, Das Alte Testament als Klangraum des evangelischen Gottesdienstes, Gütersloh 2016, formuliert. Dort heißt es auf S. 44f. zum Choral „Tochter Zion“: „Sie [die Gemeinde] sieht das Kommen des Messias Jesu im Lichte des Alten Testaments und hört es in diesem Klang- und Wahrheitsraum. Ich möchte diesen Choral darum so verstehen: In dem, was er aus Sach 9,9 aufnimmt, bleibt deutlich, dass das, was da gesagt ist, Israel gesagt ist. Aber ebenso kommt ins Bild und zur Sprache, dass wir uns davon auch etwas sagen lassen können.“

[4] Das „Blümelein“ steht hier für Jesus.

[5] Am Abend des 22. Dezember wird die erste von acht Kerzen am Chanukkaleuchter angezündet, zu Hause in den Familien und auf öffentlichen Plätzen, in Hannover um 17 Uhr auf dem Opernplatz. 

Die Wurzel Jesse in christlicher Kunst

Stammbaum Christi - Hans Holbein d.Ä., 1501
Stammbaum Christi - Hans Holbein d.Ä., 1501