Reformationsjubiläum – Botschaften zum Auftakt aus Hannover, Braunschweig, Leer

Nachricht 27. Oktober 2016

Blinde Verehrung Luthers fahrlässig –  auch Protestanten können in Klöstern leben – von Reformierten lernen

 

Meister: Blinde Verehrung Luthers wäre fahrlässig

epd-Gespräch: Ulrike Millhahn

Hannover (epd). Der hannoversche Landesbischof Ralf Meister wünscht sich für das Jahr des 500. Reformationsjubiläums, das mit dem Reformationstag an diesem Montag beginnt, eine sachliche Auseinandersetzung mit Martin Luther. „Das Jubiläum ist kein Anlass, um ihn blind zu verehren. Das wäre im Gegenteil fahrlässig“, sagte der evangelische Theologe im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Es gehe darum, Luther und seine Zeit historisch fundiert zu betrachten. „Dabei ist eine kritische Distanz und Beurteilung bestimmter Haltungen unverzichtbar“, sagte Meister. Als Beispiele nannte er Luthers (1483-1546) scharfe Angriffe auf die Bauernkriege, seine ausgeprägte Skepsis gegenüber dem Islam und vor allem seinen Judenhass.

Luthers Antisemitismus sei unter anderem darauf zurückzuführen, dass die Juden seine Erwartungen, Christen zu werden, nicht erfüllt hätten, erläuterte der Theologe. Luther habe einen neuen Deutungsrahmen geschaffen, in dem Christus die Autorität ist, die als alleiniger Maßstab die Auslegung der Bibel bestimmt. Diese Position habe die Autorität des Papstes und die Macht der Kirche geschwächt. „Das gab ihm die Freiheit, diejenigen massiv, polemisch und grob zu kritisieren, die dieser Neuausrichtung nicht folgten.“ Daraus habe auch sein „wüster Antijudaismus“ resultiert, der nicht zu entschuldigen sei.

Auf der anderen Seite habe er den Menschen mit seiner Überzeugung, dass die Grundlage des Glaubens in Christus selbst und nicht in der Vermittlung durch kirchliche Amtsträger und Traditionen liege, völlig neue Perspektiven eröffnet. „Der Ritter und der Handwerker, der Bauer und die Hausfrau erfuhren, dass sie nicht in einer abgewerteten Kategorie lebten, die sie - bildlich gesprochen - im Gegenüber zu den Klerikern in die zweite, dritte oder fünfte Reihe verbannte, sondern dass sie in der ersten Reihe neben ihnen sitzen durften.“

Genau dies habe den Protestantismus aber auch von Anfang an zu einer anstrengenden Konfession gemacht. „Man muss sich nicht nur darum bemühen, selbst zu verstehen, was in der Bibel steht, sondern daraus dann auch noch einen eigenen Lebensentwurf konstruieren“, sagte Meister und betonte: „Das verlangt sicherlich mehr, als den 'Like- oder Dislike-Button' bei Facebook anzuklicken.“ Die Menschen sollten nach Luthers Absicht nicht in der Angst vor Institutionen leben, die ihnen ein Richtig oder Falsch vorschrieben.

Das sei erschreckend aktuell, sagte Meister: „Wer bestimmt im Zeitalter des Wirtschaftsliberalismus und der sozialen Netzwerke eigentlich, was wir denken und was wir entscheiden sollen? Stecken wir nicht in einer Zwangsjacke, auch von großen Wirtschaftsunternehmen, die aus ökonomischer Sicht diese Rolle übernommen haben?“

Luthers Verständnis von Freiheit habe sich fundamental vom heutigen Freiheitsbegriff unterschieden, erläuterte der Bischof. „Uns geht es oft um Freiheit der Daten, der Geschwindigkeit oder des Konsums. Wir wollen möglichst alles zu jedem Zeitpunkt grenzenlos zur Verfügung haben - wofür eigentlich und warum?“ Der Reformator habe sein Gewissen dagegen an Gott gebunden und seine Freiheit eben nicht zur „selbstverherrlichenden Verwirklichung der eigenen Wünsche“ eingesetzt: „Luthers Überzeugung war: Wie wir unsere Freiheit nutzen, muss für das Leben der Menschen einen guten Ertrag haben und der Ehre Gottes dienen“, sagte Meister.

Für den Bischof der größten evangelischen Landeskirche in Deutschland wäre es lohnend, während des Reformationsjubiläums gerade auch Luthers Freiheitsbegriff zu thematisieren: „haben wir nicht eine große Desorientierung in unserer Gesellschaft, weil wir an zu vielen Stellen übergroße Freiheiten haben, die wir nicht mehr auf ihre Bindungen prüfen? Es geht darum, die geschenkte Freiheit zu bewahren und sie an den Freiheiten der anderen zu bewähren.“

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Meyns: Auch evangelische Christen können in Klöstern leben

epd-Gespräch: Charlotte Morgenthal

Wolfenbüttel (epd). Dass auch evangelische Christen selbst 500 Jahre nach der Reformation in ordensähnlichen Gemeinschaften leben, ist für den braunschweigischen Landesbischof Christoph Meyns kein Widerspruch zum Protestantismus. Die mehr als 100 evangelischen Kommunitäten und Geistlichen Gemeinschaften im deutschsprachigen Raum zeigten, dass es auch klösterliches Leben in der evangelischen Kirche gebe, sagte der evangelische Theologe dem Evangelischen Pressedienst (epd). Meyns ist seit Juni Beauftragter für den Kontakt zu den evangelischen Kommunitäten in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).

Die Kommunitäten zählten selbstverständlich zu den Lebensformen des protestantischen Glaubens wie Kirchengemeinden, kirchliche Vereine oder die Diakonie auch, betonte Meyns. Dies sei kein Widerspruch zur Lehre des Reformators Martin Luther (1483-1546). Das mittelalterliche Klosterleben, gegen das Luther sich vor 500 Jahren ursprünglich wehrte, sei völlig anders gewesen als das heutige. So seien die Klöster damals genutzt worden, um unverheiratete, adelige Söhne oder Töchter unterzubringen und so auch die Erbfolge politisch zu beeinflussen. Auch hätten die Einrichtungen den Reichen und Mächtigen gedient, um stellvertretend für ihr Seelenheil zu sorgen.

Der ursprüngliche Grund, der bereits im 4. Jahrhundert in der Wüste Ägyptens gegründeten Klöster, sei damals in Vergessenheit geraten, sagte Meyns. In ihrer asketischen Lebensform seien die ersten Klöster ein Protest gegen eine allzu verweltlichte Kirche gewesen.

Letztendlich habe aber auch Luther von seiner Zeit als katholischer Augustinermönch zunächst von dem klösterlichen Leben und der Vermittlung von Bildung und Kultur profitiert. „Er ist quasi ein Produkt des Klosters.“ Nach der Reformation sei die jahrtausendealte klösterliche Tradition in die Moderne übernommen worden.

Die vor allem im 20. Jahrhundert gegründeten evangelischen Kommunitäten und Geistlichen Gemeinschaften beruhten jedoch auf freiwilliger Zugehörigkeit, unterstrich Meyns. Viele dieser Gemeinschaften seien nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet worden, weil die Menschen sich nach den politischen und persönlichen Katastrophen auf die Fundamente ihres Lebens zurückbesinnen wollten.

Die rund 30 evangelischen Kommunitäten sind Lebensgemeinschaften in der Art eines Klosters. Dort leben den Angaben zufolge rund 690 zumeist unverheiratete Männer oder Frauen als Brüder oder Schwestern zusammen. In den sogenannten Geistlichen Gemeinschaften sind die Mitglieder nicht unbedingt zu einem zölibatären Leben verpflichtet. Sie sind durch ein Miteinander von Ledigen, Paaren und Familien geprägt. Seit mehr als 25 Jahren steht den Kommunitäten und Gemeinschaften ein Bischof als Begleiter und Berater zur Seite.

Auch er selbst schätze diese Orte, sagte der Landesbischof, der seit mehr als 20 Jahren regelmäßig an Exerzitien in Klöstern teilnimmt und dort eine Ausbildung zum geistlichen Begleiter absolvierte. Die Kommunitäten seien ein Rückzugsort, der es evangelischen Christen ermögliche, mit dem Gebet und dem Gottesdienst eine intensivere Erfahrung zu erleben. „Was diese Orte so wertvoll macht, ist dass sie ein bisschen anders sind als das, was sonst den Alltag bestimmt.“

Während die Einrichtungen gegen Nachwuchsmangel zu kämpfen hätten, steige in der Gesellschaft die Suche nach derartigen Rückzugsorten, betonte der Theologe: „Weil wir in einer Welt leben, die dermaßen laut und lebendig und wechselhaft ist, dass Menschen nach einem Gegenpol suchen, nach Ruhe und Stille und uralten, stabilen Lebensformen.“

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Zum Reformationsjubiläum von den Reformierten lernen

Eine evangelische Minderheit mit einem starken Selbstbewusstsein

Von Jörg Nielsen (epd)

Emden/Leer (epd). Ausgerechnet die NS-Zeit hat die beiden bedeutendsten protestantischen Strömungen wieder zusammengeführt. Über Jahrhunderte waren Lutheraner und Reformierte getrennte Wege gegangen. „Doch im Widerstand, im KZ und auch in den Kriegsgefangenenlagern haben sich Christen gegenseitig geschützt und gestützt2, sagt der evangelisch-reformierte Kirchenpräsident Martin Heimbucher. Dabei sei die Erkenntnis erwachsen, „dass uns mehr eint als trennt“. Beginnend an diesem Montag, dem Reformationstag, feiern evangelische Christen ein Jahr lang gemeinsam das 500. Jubiläum der Reformation, die mit dem legendären Thesenschlag Martin Luthers (1483-1546) am 31. Oktober 1517 in Wittenberg ihren Anfang nahm.

Neben der Spaltung in Protestanten und Katholiken brachte die Reformation unterschiedliche protestantische Überzeugungen hervor, die miteinander im Streit lagen. Einig waren sie sich darin, dass die Ansagen des römischen Papstes keine Rolle mehr spielten. „Protestanten müssen seitdem selbstständig nach dem richtigen Weg zur Wahrheit fragen und auch theologisch darüber streiten“, sagt Heimbucher. Als Kirchenpräsident der Evangelisch-reformierten Kirche mit Sitz im ostfriesischen Leer steht er stellvertretend für eine bedeutende Strömung im Protestantismus: die Reformierten. Sie berufen sich vor allem auf die Schweizer Reformatoren Johannes Calvin (1509-1564) und Huldrych Zwingli (1484-1531).

Erst 1973 unterschrieben Reformierte und Lutheraner die „Leuenberger Konkordie“, in der die unterschiedlichen Kirchen sich gegenseitig anerkannten und einander die Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft gewährten. Doch die erreichte Einigkeit der evangelischen Christen hebe die Unterschiede nicht auf, unterstreicht Heimbucher: „Einigkeit heißt nicht Uniformität.“

Das gelte vor allem für das unterschiedliche Verständnis des Abendmahles. Für die Lutheraner ist Christus beim Abendmahl wirklich in Brot und Wein gegenwärtig. Die Reformierten feiern das Abendmahl dagegen als ein Erinnerungsmahl, bei dem Brot und Wein die Gegenwart Gottes symbolisieren. Und noch etwas unterscheidet die Reformierten von den Lutheranern: eine absolute Basisdemokratie.

Bereits 1571, also gerade mal 54 Jahre nach Luthers Thesenanschlag, schafften die Reformierten auf einer Synode in Emden das Herrschaftsprinzip in ihrer Kirche ab. Heimbucher nennt dies den „reformierten demokratischen Vorsprung“, von dem die anderen Kirchen noch lernen könnten. Eine zentrale Erkenntnis aus der Reformation sei, „dass die Kirche nur einen Herrn hat, nämlich Gott - alle anderen Menschen aber gleich sind“, erläutert der Theologe. In dem ersten Paragrafen der damals beschlossenen Kirchenordnung heißt es: „Keine Gemeinde soll über andere Gemeinden, kein Pastor über andere Pastoren, kein Ältester über andere Älteste, kein Diakon über andere Diakone den Vorrang oder die Herrschaft beanspruchen.“ An diesem Grundsatz habe sich bis heute nichts geändert.

Auf diesen demokratischen Vorsprung sind die Reformierten stolz und machen bei den Synodensitzungen auch kräftig davon Gebrauch. Deutlich wird dieses Prinzip im Amt des Kirchenpräsidenten. Er wird von der Gesamtsynode auf zwölf Jahre zum theologischen Repräsentanten seiner Kirche gewählt, darf aber streng genommen keinem anderen Pastor Anweisungen geben.

Bundesweit bilden die rund 1,5 Millionen Reformierten gegenüber den mehr als 20 Millionen Lutheranern eine klare Minderheit. Der Evangelisch-reformierten Landeskirche, die besonders in Ostfriesland und der Grafschaft Bentheim im Nordwesten Deutschlands stark vertreten ist, gehören rund 177.000 Christen an. Im weltweiten Vergleich haben jedoch die Reformierten die Nase vorn: Sie kommen auf 80 Millionen, die Lutheraner auf 76 Millionen Mitglieder.

Lutheraner unterstellen den Reformierten gerne eine gewisse Strenge und Freudlosigkeit. Tatsächlich sind die reformierten Kirchen bewusst schlicht gehalten. Ein Altar, Bilder und sogar Kreuze sind hier nicht zu finden. Dafür ist die Kanzel von allen Plätzen gut zu sehen. „Bei uns steht die Predigt im Zentrum des Gottesdienstes“, sagt Heimbucher ernst. „Nichts soll von Gottes Wort ablenken.“

Doch dafür finden die Reformierten etwas bei den Lutheranern befremdlich: Wenn eingefleischte Reformierte in einen lutherischen Gottesdienst kommen, fragten sich viele, ob sie nicht in einer katholischen Messe gelandet seien, sagt Heimbucher mit einem Schmunzeln. „Die gesungene Liturgie bleibt für reformierte Ohren ungewohnt.“

Kontakt

Katrin Spier