Für uns Kirchen eine Herzensangelegenheit

Nachricht 30. April 2024

3 Fragen an die Bevollmächtige Dr. Gäfgen-Track zum Grundgesetz-Jubiläum

Kerstin Gäfgen-Track
Kerstin Gäfgen-Track. Foto: Jens Schulze

Hannover. Oberlandeskirchenrätin Dr. Kerstin Gäfgen-Track ist als Bevollmächtigte der Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen für die Kontakte zur Landespolitik zuständig. Für sie ist das 75-jährige Jubiläum des Grundgesetzes am 23. Mai 2024 eine Herzensangelegenheit – weil es um die Würde und das unantastbare Recht aller Menschen geht.

Warum ist das Grundgesetz heute noch aktuell?

Kerstin Gäfgen-Track: Die Mütter und Väter des Grundgesetzes haben viel gewagt und bis heute für die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes viel gewonnen: Freiheit, Demokratie, gleiche Würde und gleiche Grundrechte für alle Menschen. Die Mütter und Väter waren sich bewusst, dass die Weimarer Verfassung weder die Köpfe noch gar die Herzen vieler Menschen erreicht hat. Viele Menschen blieben der Verfassung gegenüber skeptisch, ob sie sich als Grundlage des gesellschaftlichen Zusammenlebens eignete. Die Nationalsozialisten hatten auch deshalb leichtes Spiel, die Verfassung auszuhebeln und ein Unrechtssystem aufzubauen. Dagegen war es das Ziel der Mütter und Väter des Grundgesetzes, dass dieses die Menschen erreicht und sie für sich einnimmt. Das Grundgesetz ist nur so gut, wie die Menschen es leben und sich dafür als Grundlage des menschlichen Zusammenlebens aktiv einsetzen. Es formuliert hochaktuelle Freiheits-, Gleichheits- und Teilhaberechte für alle Menschen.

Weshalb ist das Grundgesetz für die Kirche wichtig?

Gäfgen-Track: Die Demokratie ist nach kirchlich-theologischer Einsicht diejenige Staatsform, die die unantastbare Würde aller Menschen am besten schützt und ein Leben in Freiheit ermöglicht. Dafür bildet das Grundgesetz die verfassungsmäßige Grundlage. Es setzt bei der „Würde des Menschen“ an, die „unantastbar“ ist (Art. 1). Damit widerspricht es allen Versuchen, die Würde von einzelnen Menschen oder Gruppen abzuwerten und ihnen ihr Recht zu nehmen. Das Grundgesetz wurde im Bewusstsein der „Verantwortung vor Gott und den Menschen“ erlassen (Präambel). Damit soll das Grundgesetz menschlichem Zugriff ein Stück weit entzogen sein. Dass Menschenrecht und Menschenwürde von Gott gegeben sind, ist die Überzeugung vieler Mütter und Väter des Grundgesetzes. Sie wussten darum, dass das Grundgesetz eine Begründung braucht, die über das Recht hinausgeht, aber nicht alle ihre transzendental verankerte Begründung teilen, sondern auch andere Begründungen möglich sind. Als Christinnen und Christen ist es bis heute unsere Aufgabe, die Werte zu leben, auf denen unser Grundgesetz beruht und diese Werte auch in einer sich als säkular verstehenden Gesellschaft immer neu plausibel zu machen. Das viel zitierte Böckenförde-Diktum, dass der freiheitliche, säkularisierte Staat von Voraussetzungen lebt, die er selbst nicht garantieren kann, ist nicht veraltet. Es ist gerade heute zu klären, welche „Voraussetzungen“ und Überzeugungen das Grundgesetz weiterhin tragen und seine Auslegung in konkreten Fragen bestimmen.

Was ist für Sie die wichtigste Aussage des Grundgesetzes?

Gäfgen-Track: Ich bin zutiefst von der Würde jedes von Gott geschaffenen Menschen überzeugt und deshalb sehr dankbar, dass das Grundgesetz die Menschenwürde als „unantastbar“ bestimmt. Die Menschenwürde steht Menschen unabhängig von ihrem Geschlecht, ihrer Herkunft, ihrer Hautfarbe oder Religion zu. Für uns Christinnen und Christen hat jeder Mensch diese unverlierbare Würde als von Gott geschaffener. Deshalb freue ich mich, dass im Grundgesetz der konfessionelle Religionsunterricht an Schulen ermöglicht wird (Art. 7 Abs. 3). Dort können sich Schülerinnen und Schüler mit Recht und Gerechtigkeit, Freiheit und Demokratie und was dies alles mit Gott zu tun haben kann, beschäftigen. Das Grundgesetz ist auch für mich persönlich Herzensangelegenheit. Ich feiere das Jubiläum am 23. Mai aus voller Überzeugung mit.

75 Jahre Grundgesetz

Am 23. Mai dieses Jahres wird das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland 75 Jahre alt. Das ist auch für uns als christliche Kirchen in Niedersachsen ein Grund zum Feiern, denn als Christinnen und Christen leben wir die Werte, auf denen unser Grundgesetz basiert. Und wir engagieren uns kritisch und konsequent für die Würde aller Menschen, Demokratie und eine soziale Gesellschaft. Das ist umso wichtiger, da aktuell grundlegende demokratische Errungenschaften in Frage gestellt werden. „Suchet der Stadt Bestes und betet für sie zum HERRN“ (Jeremia 29,7). Dazu gehört auch das Engagement für das Grundgesetz, das „im Bewusstsein der Verantwortung vor Gott und den Menschen“ damals wie heute dem Frieden dienen will (Präambel). 

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