Theologin Gäfgen-Track: Umgang mit Julia Hamburg ist unanständig

Nachricht 14. November 2022
Die Bevollmächtigte Kerstin Gäfgen-Track in Loccum; Foto: L. Veit

Hannover/Loccum. In der Kontroverse um die Berufung von Niedersachsens neuer Kultusministerin Julia Willie Hamburg (Grüne) in den Aufsichtsrat des Volkswagen-Konzerns erhält die Politikerin weitere Unterstützung aus der evangelischen Kirche. „Es ist unanständig, eine junge Frau, die in ihrer Rolle als stellvertretende Ministerpräsidentin dieses Amt übernimmt, öffentlich so fertigzumachen“, sagte die Bevollmächtigte der Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen, Oberlandeskirchenrätin Kerstin Gäfgen-Track, am Sonnabend in Loccum bei Nienburg. Dort sprach sie bei einer Konferenz des Religionspädagogischen Instituts für Elternvertreter. 

Zuvor hatte der Präsident der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz, Ulrich Hocker, die Grünen-Politikerin als „offensichtliche Fehlbesetzung“ für das Kontrollgremium des Automobil-Konzerns bezeichnet und angekündigt, gegen ihre Berufung zu klagen. Gäfgen-Track sagte dazu: „Das geht überhaupt nicht. Ich bin überzeugt: Wenn Frau Hamburg ein Mann wäre, wäre ihr das nicht passiert.“ Amtsvorgänger im VW-Aufsichtsrat wie der gelernte Lehrer und frühere niedersächsische Ministerpräsident Sigmar Gabriel (SPD) seien auch nicht besser qualifiziert gewesen. 

Offenbar sei die Sorge groß, dass da jemand über alternative Antriebe nachdenken und kritisch auf Manipulationen wie beim Dieselskandal schauen werde, sagte die Theologin. „Aber man muss doch nicht denken, nur weil jemand Fahrrad fährt, will er oder sie VW in Grund und Boden richten.“ Gäfgen-Track ergänzte, es sei für sie auch unverständlich, warum sich VW selbst nicht zu Wort melde und darauf hinweise, „dass es völlig okay ist, wenn eine demokratisch gewählte Politikerin in den Aufsichtsrat berufen wird“. 

Zuvor hatte Hamburg bereits Rückendeckung von der Theologin und früheren Landesbischöfin Margot Käßmann sowie von Niedersachsens neuem Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD) erhalten. Käßmann sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd), eine Frau wie Julia Hamburg könne dem Gremium nur guttun. Hocker hatte eingewandt, als bekennende Radfahrerin ohne eigenes Auto und aufgrund fehlender Fachkompetenz sei die Grünen-Politikerin nicht für das Amt geeignet.

epd Landesdienst Niedersachsen-Bremen

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Eltern und Kinder im Dauerkrisenmodus?

Umgang mit dem Klimawandel dominiert die Elternräte-Konferenz des RPI Loccum

„Krisenkinder, Chancenjugendliche? Erziehungspartnerschaften in herausfordernden Zeiten“ – so war die Konferenz für Elternvertreter*innen Niedersachsens des Religionspädagogischen Instituts Loccum (RPI) überschrieben. Corona, Klimawandel, Krieg: Befinden sich Kinder und Jugendliche im Dauerkrisenmodus? So formulierte es Dr. Dieter Dohmen vom Forschungsinstitut für Bildung und Sozialökonomie Berlin in seinem Vortrag. Oder kann in der Krise ausgerechnet im Verzicht auch Hoffnung liegen? An diesem Gedanken ließ Oberlandeskirchenrätin Dr. Kerstin Gäfgen-Track die rund 80 Teilnehmer*innen teilhaben.

Gäfgen-Track meinte damit keineswegs Verzicht im Bildungssystem. Aber warum müsse man mit Geländewagen durch die Stadt fahren? Warum innerhalb Londons und auf anderen Kurzstrecken mit Privatjets fliegen? Gleichwohl gebe es bei vielen Themen kein einfaches Richtig oder Falsch mehr, gab sie zu bedenken. Es sei gut, wenn der Absatz von Schweinefleisch sinke. Auf der anderen Seite gefährde die Entwicklung bäuerliche Existenzen. Oder das Distanzlernen während der Pandemie: für den Infektionsschutz sei es gut gewesen, für die emotionale-soziale Entwicklung der Kinder und Jugendlichen schlecht, sagte die Leiterin der Bildungsabteilung im Landeskirchenamt in Hannover.

Vor allem beim Thema Klimawandel erlebe sie Schüler*innen viel sensibler als manche Erwachsene. „Aber der Klimawandel ist nicht fake news, die Augen davor zu verschließen, ist grob fahrlässig.“ Vor diesem Hintergrund sei auch der Vorstoß der EKD-Synode zu verstehen, kirchliche Beschäftigte mögen bei Dienstfahrten auf Autobahnen maximal 100 und auf Landstraßen maximal 80 fahren. „Dann heißt es wieder: Die evangelische Kirche ist eine Spaßbremse“, sagte Gäfgen-Track. Tatsächlich sei es der falsche Weg, wenn die Kirche anderen vorschreiben wolle, was richtig sei. „Die Leute müssen selbst die Einsicht haben, dass Tempo 100 gut für ihre Kinder ist.“

Sie sei einmal von einem Schüler öffentlich gefragt worden: „Was haben Sie im vergangenen Jahr eigentlich getan, um Ihren ökologischen Fußabdruck zu verkleinern?“ Diese Frage beschäftige sie immer wieder und habe sie manche Verhaltensweisen überdenken lassen. Doch oft fühlten sich junge Menschen von der Politik oder anderen Verantwortlichen nicht gehört. In Göttingen habe das dazu geführt, dass Jugendliche zwei Schulen besetzt hätten, um für mehr Klimaschutz zu demonstrieren, berichteten mehrere Eltern. Gäfgen-Track zeigte sich verständnisvoll für die Aktion: „Sie wissen keinen anderen Weg. Es ist Ausdruck der Verzweiflung Jugendlicher, für die der Klimawandel Realität ist und die erleben müssen, wie halbherzig dagegen vorgegangen wird.“ Wie die Eltern berichteten, gingen die betroffenen Schulleitungen konstruktiv mit der Situation um und ließen den Schüler*innen Raum zum Gespräch. Auch das lasse hoffen. „Vor allem aber liegt Hoffnung in dem vielfältigen und kreativen Engagement von Kindern und Jugendlichen, die sich nicht lähmen lassen, sondern anpacken, da wo es konkret für sie möglich ist.“

PD Dr. Silke Leonhard und Bettina Wittmann-Stasch vom RPI Loccum, die diese Tagung verantworteten, setzen ebenfalls Hoffnungen auf die Schule: „Die Studie von Dohmen und Hurrelmann hat bestätigt, dass die Belastungen von Kindern und Jugendlichen in dieser Krisenzeit gewachsen sind und deren Lebenssituation verschlechtern. Chancen liegen aber in der Schule: Gemeinsam dafür Sorge zu tragen, dass Kinder und Jugendliche gesehen werden und Demokratie ebenso wie Schule selbst mitgestalten können, bleibt uns daher ein wichtiges Anliegen.“

Text und Bild: Lothar Veit