Evangelische Schulseelsorge in Zeiten der Pandemie

Nachricht 29. Juni 2021
Bettina Wittmann-Stasch, Dozentin für Schulseelsorge am Religionspädagogischen Institut Loccum (RPI); Foto: privat

Bettina Wittmann-Stasch, Dozentin für Schulseelsorge am Religionspädagogischen Institut Loccum (RPI), hat an einem Buch mitgearbeitet, in dem Schulseelsorger*innen von ihren Erfahrungen in der Pandemie berichten. Im Interview erzählt sie, wie sich die Arbeit verändert hat.

„Manchmal ist Schulseelsorge wichtiger…“ lautet der Titel eines neuen Buches, das Sie mit herausgeben. Wichtiger als was?

Schulseelsorge ist für viele Schüler*innen und Kolleg*innen jetzt wichtiger als vorher, weil das Leben schwerer wird. Da ist es dann gut, wenn jemand da ist! Gerade jetzt scheint die „Normalität“ von früher ja schon fast als Paradies. Deshalb hilft der Blick mit der Lupe auf das, was trotz allem gelingt, was gut ist, worauf ich mich freue. Und es muss mal raus, was gerade nicht gut ist. Wenn dann da jemand ist, der zuhört, mich ernst nimmt und beim Finden von neuen Ideen unterstützt, dann ist das Leben etwas heller als davor. Deshalb ist Schulseelsorge manchmal besonders wichtig. Und zeitweise auch wichtiger als Lernstoff – gerade, damit der Kopf zum Lernen wieder frei werden kann.

Schulseelsorge lebt vor allem durch das persönliche Gespräch. Wie haben Schulseelsorger*innen in letzter Zeit den Kontakt zu Schüler*innen halten können?

Auf unterschiedlichste Weise. Eine Schulseelsorgerin hat sich im Pausenhof ihrer Schule auf eine Bank gesetzt, wenn die Grundschüler*innen kamen, um ihre „Lernpäckchen“ abzuholen. Sie war da. Für die Oma, die sich Gedanken um ihre Enkelin macht, genauso wie für die Kinder, die allein kamen, um ihre Aufgaben zu holen. Ein kurzer Schnack oft nur, aber sie wusste dann: Da scheint es gut zu laufen, dort gibt es Schwierigkeiten... Eine andere hat von ihrem Schulleiter ein Prepaid Handy bekommen, die Telefonnummer stand dann auf der Schulhomepage. Ein Schulseelsorger hat sich mit Schüler*innen zum Spaziergang verabredet, wenn er sich Sorgen um sie gemacht hat. Das zeigt: Schulseelsorger*innen investieren viel Zeit und Engagement für diese Arbeit gelebter Nächstenliebe. Das geht nicht bei jedem*jeder einzelnen Schüler*in – aber es geht öfter als gedacht.

Geht Schulseelsorge auch digital? Und wenn ja, wie?

Die hohe Dichte von Smartphones in Kinderhänden ist eine wertvolle Ressource in der Pandemie, weil Kinder und Jugendliche so selbstbestimmt Seelsorgeangebote wahrnehmen können. Viele Schulseelsorger*innen erzählen von solchen Situationen im Nachgang von Onlineunterricht. Oder es verabreden sich Schulseelsorge-Kolleg*innen mit Ratsuchenden per Videotools. Soweit ich sehen kann, werden diese Kontakte aber zurzeit noch öfter von Kolleg*innen oder Eltern wahrgenommen.

Man hört oft, dass besonders die schwächeren und benachteiligten Schüler*innen während des Lockdowns durchs Raster fallen. Teilen die von Ihnen befragten Kolleg*innen diese Erfahrung?

Ja, leider. Mein Eindruck ist dabei: Diese Pandemie zeigt auch, wie wichtig Lehrkräfte für ihre Schüler*innen sind – als Motivator*innen, als diejenigen, die die Schüler*innen ernstnehmen, als Lernbegleiter*innen. Das ist digital so einfach nicht einholbar! Viele Schulseelsorger*innen haben sich die Frage gestellt: Ist es gut oder zu aufdringlich, wenn ich mich bei Risikoschüler*innen melde, wenn ich sie nicht sehe – oder wieviel Eigenverantwortung soll ich ihnen lassen?

Was bleibt an positiven Erfahrungen, wenn die Corona-Krise einmal vorbei sein sollte?

Inzwischen denke ich: Wir werden Wege finden, mit dieser Pandemie zu leben, an ein „Vorbeigehen“ glaube ich nicht mehr. Bleiben wird die Erfahrung, wie wichtig es ist, aufeinander achtzugeben. Und leider auch, wie schwer es auszuhalten ist, wo das nicht gut gelingt oder gut gelungen ist. Viele kreative Ideen werden weitergehen, zum Beispiel bei der Gestaltung von Abschlussfeiern oder die Idee, dass Jugendliche Briefe an Bewohner*innen von Altenheimen schreiben. Auch neue Formen der Seelsorge werden erhalten bleiben – seien es die Spaziergänge, die „Ich denk an dich“-Stationen wie die „Tankstelle für die Seele“ mit kleinen Freundlichkeiten für Vorbeikommende. Schlicht, weil es Spaß macht und wirkt.

Wer sich intensiver mit Fragen der Schulseelsorge in Theorie und Praxis beschäftigen will, dem sei die Publikation „Manchmal ist Schulseelsorge wichtiger…“ Evangelische Schulseelsorge in Zeiten von Corona, hg. von Thomas Böhme, Sabine Lindemeyer, Anne-Kathrin Wenk und Bettina Wittmann-Stasch, empfohlen. Das Buch kann gegen eine Schutzgebühr von 12 Euro (ab 10 Exemplaren: 9 Euro) bezogen werden über den Online-Shop des RPI Loccum (www.rpi-loccum.de)

Die Fragen stellte Dr. Michaela Veit-Engelmann, am RPI Loccum zuständig für Öffentlichkeitsarbeit.