Digitalisierung betrifft nicht nur die Informatiklehre*innen

Nachricht 03. Dezember 2021
Minister Tonne: „Man muss erstmal gucken, wie man den Tag geregelt bekommt!“ - Foto: Lothar Veit für das RPI Loccum

Kultusminister Grant Hendrik Tonne diskutiert mit BBS-Schulleiter*innen über Distanzunterricht

Wie viel Digitalisierung braucht die berufliche Bildung? Wie viel Distanzunterricht ist möglich und wie viel direkter Kontakt ist für den Unterricht nötig? Über diese Fragen kam jetzt Niedersachsens Kultusminister Grant Hendrik Tonne mit mehr als 50 Schulleiter*innen von Berufsbildenden Schulen bei einer digitalen Tagung des RPI Loccum ins Gespräch.

„Die Corona-Pandemie hat die Schwächen im System deutlich gemacht und uns gezeigt, worauf wir achten müssen“, sagte der Kultusminister. „Und da dürfen wir insbesondere die schwachen Schüler*innen nicht aus den Augen verlieren.“ Mit Blick auf die fortschreitende Digitalisierung der Schulen sagte Tonne: „Im Grunde hat Corona wie ein Katalysator gewirkt: Die Pandemie hat bestimmte Prozesse beschleunigt.“ Natürlich sei bereits vor Corona die digitale Ausstattung in den Schulen ein Thema gewesen, das habe sich aber nun verstärkt. Wichtig sei dabei: „Digitalisierung ist keine einmalige Maßnahme und dann ist alles gut.“ Und: „Digitalisierung ist eine Querschnittsaufgabe. Die betrifft die ganze Schule und nicht nur die Informatiklehrer.“ Die Fortführung des Digitalpakts sei unabdingbar, damit an die bisherigen Fortschritte bei der Digitalisierung angeknüpft werden könne. Allerdings gab Tonne zu bedenken: „Inmitten einer vierten Welle ist es eine besondere Herausforderung, an die Zukunft zu denken. Man muss ja erstmal gucken, wie man den Tag geregelt bekommt.“

Einen Fokus legte der Minister auf den Distanzunterricht, also einen Unterricht, bei dem Schüler*innen vor den heimischen Rechnern sitzen und nicht im Klassenzimmer. Hier betonte Tonne: „Distanzunterricht ist ein Baustein, ein breites Ausbildungsangebot in der Fläche zu erhalten.“ Denn in einem Flächenland wie Niedersachsen sei eine ortsunabhängige Beschulung wichtig, besonders für seltene Ausbildungsberufe, die nur an wenigen Berufsbildenden Schulen angeboten werden. Hier habe Niedersachsen bereits wichtige Grundlagen gelegt.

Dies unterstrich auch Ministerialdirigentin Melanie Walter, im Kultusministerium als Abteilungsleiterin zuständig für die Berufliche Bildung. Sicherlich sei der Distanzunterricht nicht die eine Lösung für alle Probleme, mit denen die Berufsbildenden Schulen konfrontiert würden, aber er bereite zweifelsohne auf die zukünftigen Herausforderungen in der Arbeitswelt vor. „Wer heute als Schüler an die BBS kommt, der wird die nächsten 40 Jahre im Berufsleben sein“, so Walter. „Wir müssen diesen jungen Menschen das mitgeben, was sie in diesem Arbeitsalltag brauchen.“ Sie sei deshalb stolz auf die Vorreiterrolle, die die Berufsbildenden Schulen hier einnähmen, wisse aber auch darum, dass die Schulen „steigende Aufgaben bei sinkenden Schülerzahlen“ zu bewältigen hätten. Deshalb, so Walter weiter, dürfe die Ausstattung der Schulen nicht allein von Schülerzahlen abhängig sein.

Kultusminister Tonne hob die Bedeutung der Beruflichen Gymnasien innerhalb der Schullandschaft hervor – und deren Zukunft trotz des immer stärker werdenden parallelen Angebots von Integrierten Gesamtschulen mit Oberstufen. Dies unterstrich auch Melanie Walter: „Wir wollen die Beruflichen Gymnasien stärken, indem wir deutlicher machen, was ihr Alleinstellungsmerkmal ist. So können Schüler*innen dort ja teilweise bereits doppelqualifizierende Abschlüsse erwerben oder sich zukünftig Unterrichtsinhalte schon fürs Studium anrechnen lassen.“

Angesichts der hohen Inzidenzzahlen hatten die Schulleiter*innen weitere drängende Fragen mitgebracht, die wichtigste: Wie geht es in diesem Schuljahr weiter? Hier bekannte sich Tonne klar zu dem Ziel, die Schulen wenn irgend möglich offen zu halten: „Das Vorziehen der Weihnachtsferien allein verbessert nichts.“ Wenn es soweit kommen sollte, brauche es vor allem andere weitere Maßnahmen, die sicherstellten, dass die Schüler*innen sich nicht außerhalb des streng kontrollierten Raums Schule leichter einer Infektion aussetzen würden. Und: „Was wir nicht diskutieren, sind grundsätzliche präventive Schulschließungen!“ Denn, so Tonne, für junge Menschen seien direkter Kontakt und persönlicher Austausch sehr wichtig.

Das betonte auch Oberlandeskirchenrätin Dr. Kerstin Gäfgen-Track von der Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen, die gemeinsam mit ihrem Kollegen Dr. Winfried Verburg vom Bischöflichen Generalvikariat Osnabrück für den Austausch mit den Schulleitungen zu Verfügung stand: „Nichts ist jetzt so wichtig wie Kommunikation, auch wenn es mühsam ist“, sagte Gäfgen-Track. Es brauche Begegnung und Interaktion. Und deshalb sei der Religionsunterricht „so wichtig wie nie zuvor“. Dies gelte gerade auch an Berufsbildenden Schulen: „Bestimmte Berufsgruppen wie zum Beispiel die Pflegekräfte brauchen innere Kraftreserven, egal ob sie nun religiös sind oder nicht.“

Winfried Verburg erläuterte das Vorhaben der Kirchen, zukünftig einen gemeinsam verantworteten Christlichen Religionsunterricht einzuführen. „Getaufte Christ*innen werden auch in den Schulen demnächst in der Minderheit sein, für die Mehrheit wird das Pflichtfach Werte und Normen sein. Dennoch wollen wir am bekenntnisorientierten Religionsuntericht festhalten, gernauer am Religionsuntericht, der sich am Christusbekennntis orientiert. Denn es ist aus unserer Sicht für die Schüler*innen wichtig, dass es ein Fach gibt, das der Staat nicht allein bestimmt und in dem Lehrkräfte unterrichten, die sich positionieren können und sollen!“

Text: Dr. Michaela Veit-Engelmann, Öffentlichkeitsarbeit des RPI Loccum