Weniger hassen, mehr lieben - jeden Tag

Nachricht 26. Januar 2021

Die Bevollmächtigten OLKR Kerstin Gäfgen-Track und OLKR Andrea Radtke schreiben im Januar-Newsletter:

Sehr geehrte Damen und Herren,

diese vier Künstler*innen, Claire Arnstein, Siegfried Urias, Steffi Ronau und Kurt Singer, stehen stellvertretend für die Jüdinnen und Juden, die unter nationalsozialistischer Herrschaft verfolgt und wie Steffi Ronau und Kurt Singer ermordet wurden. Der Gedenktag an die Opfer nationalsozialistischer Verfolgung am 27. Januar erinnert uns an unsere bis heute zu erinnernde Schuldgeschichte und den bleibenden Antisemitismus in unserem Land.

In diesem Jahr ist der Gedenktag hineingenommen in die Initiative #2021JLID – Jüdisches Leben in Deutschland, die bundesweit mit rund 1000 Veranstaltungen, mit Konzerten, Ausstellungen, Musik, einem Podcast, Video-Projekten, Theater, Filmen jüdisches Leben in Deutschland „sichtbar und erlebbar“ machen wird. Damit soll auch dem „erstarkenden Antisemitismus etwas entgegengesetzt“ werden. Unter #beziehungsweise: jüdisch und christlich – näher als du denkst, beteiligen sich auch Vertreter*innen der Kirchen mit einem Bildungsangebot an den Veranstaltungen.

Seit 1700 Jahren leben Jüdinnen und Juden nachweislich auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands. In einem Edikt vom 11. Dezember 321 stellt der römische Kaiser Konstantin fest, dass Juden städtische Ämter in der Kurie, der Stadtverwaltung Kölns, bekleiden dürfen und sollen. Mit dem damals begonnenen Zusammenleben mit Menschen jüdischen Glaubens ist zu viel Schlimmes, zu viel Ausgrenzung, Hass, Verfolgung, Blutvergießen, Völkermord verbunden, als dass von einem „Jubiläum“ gesprochen werden kann. Zugleich geht es um eine Würdigung des Judentums als lebendigen Teil der deutschen Geschichte. Eine immer wieder zu zerreißen drohende Spannung zwischen Ächtung bis hin zum Holocaust auf der einen und großer kultureller, wirtschaftlicher und wissenschaftlicher Gestaltungskraft von Menschen jüdischen Glaubens in und für unsere Gesellschaft auf der anderen Seite prägen diese 1700 Jahre Geschichte Deutschlands.  

Gedenken am 27. Januar bedeutet für Christ*innen auch, sich den schmerzhaften Fragen nach der theologischen und kirchlichen Verstrickung in judenfeindliche Hetze und Gewalt, der facettenreichen christlichen Schuld am Antisemitismus und gegen neue antijüdische Positionen zu stellen. „… nur wenn Juden hier vollkommen sicher, vollkommen zuhause sind, ist dieses Deutschland vollkommen bei sich“, so Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.   

Ob heute eine „Renaissance“ des Judentums in Deutschland gelinge, so der Historiker und Schriftsteller Rafael Seligmann, „hängt von der Bereitschaft der deutschen Mehrheitsgesellschaft ab, den Antisemitismus auszuschalten und das deutsch-jüdische Miteinander mit Neugier und Nächstenliebe zu fördern“ (Publik Forum 1/2021, 10).

Wenige Tage vor dem 27. Januar wurde (https://2021jlid.de/) ein neuer Popsong für mehr Zivilcourage veröffentlicht: „Each Day“ des Künstlers ODBLU. „We ain’t so different (...) We come and go just the same So Imma hate a lil less and love a lil more each day.“ Weil wir gar nicht so unterschiedlich sind, will ODBLU „ein bisschen weniger hassen und ein bisschen mehr lieben – jeden Tag.“ Zivilcourage wagen, endlich. Damit wir als Gesellschaft endlich ein neues Kapitel aufschlagen können in der bleibenden Erinnerung an eines der schwierigsten und auch dunkelsten Kapitel der Geschichte unseres Landes und auch der Kirchen.

Ihre 
Kerstin Gäfgen-Track und Andrea Radtke
Die Bevollmächtigten Kerstin Gäfgen-Track und Andrea Radtke

Auf der Fotocollage sind zu sehen: Claire Arnstein: Schauspielerin, Jüdischer Kulturbund Berlin, gestorben im KZ – Siegfried Urias, deutsch-jüdischer Opernsänger, überlebte den Holocaust und war bis 1955 am Stadttheater Bonn tätig – Steffi Ronau, geb. Rosenbaum, Schauspielerin, überlebte in einem Berliner Kellerversteck, ab 1945 spielte sie wieder Theater in Berlin – Kurt Singer, Intendant des Jüdischen Kulturbundes Berlin, starb am 7.2.1944 im KZ Theresienstadt.
©Fotos: Bildarchiv Pisarek/akg-images
Mehr zum Jüdischen Kulturbund in Deutschland finden Sie in dem Heft von Aktion Sühnezeichen Friedensdienste zum 27. Januar 2021: https://www.asf-ev.de/de/kirchengemeinden/materialien-fuer-kirchengemeinden/27-januar-internationaler-holocaust-gedenktag/

Weitere Hinweise zur Initiative

Als Abwehr gegen Antisemitismus nennt Ulrike Offenberg, Rabbinerin in Hameln, vier Weisen für Jüdinnen und Juden zu reagieren:
1) selbst Minderwertigkeitsgefühle zu entwickeln, sich zu distanzieren und aus dem Judentum „auszutreten“,
2) sich durch Anpassung unsichtbar zu machen,
3) durch Aufklärung Pädagogik und gesellschaftlich-politisches Engagement judenfeindliche Anwürfe zu entkräften und
4) die eigene Identität zu stärken in kultureller Selbstbehauptung und Rückbesinnung auf die eigenen Wurzeln.

Die Initiator*innen von #2021JLID – Jüdisches Leben in Deutschland zeigen viele Facetten gestärkter jüdischer Identität. Wer jüdisches Leben im heutigen Deutschland wahrnehmen möchte, bis jetzt aber noch nicht die Gelegenheit hatte, mit Jüd*innen ins Gespräch zu kommen, findet auf https://2021jlid.de/ und im Terminkalender von #beziehungsweise ein reichhaltiges Angebot von Möglichkeiten. Speziell für das niedersächsische Gebiet zwischen Heide und Harz gibt es auf der Internetseite des Israel Jacobson Netzwerkes für jüdische Geschichte und Kultur e.V. (https://ij-n.de/) viel zu entdecken.

Wer sich in Niedersachsen gegen Antisemitismus engagieren möchte, findet in der Broschüre „Gefährlich verankert“ neben Informationen über antisemitische Vorfälle und Straftaten auch Informationen über Projekte gegen Gewalt und Ausgrenzung, zu Empowerment und Dialogarbeit.

Wer am 27. Januar an einem Gedenkgottesdienst teilnehmen möchte, kann das online tun, etwa ab 18:30 Uhr in der St. Matthäus-Kirche auf dem Kulturforum in Berlin. Link auf  https://www.asf-ev.de/de/de/

Das Konzert „Lebensmelodien“ mit jüdischen Melodien aus dem Zeitraum 1933-1945 in der Berliner Synagoge Pestalozzistraße wird ab 20:04 Uhr im Radiosender rbb Kultur zu hören sein: https://www.rbb-online.de/rbbkultur/