Wasser: lebensnotwendig und lebensbedrohend

Nachricht 20. Juli 2021

Die Bevollmächtigten OLKR Kerstin Gäfgen-Track und OLKR Andrea Radtke schreiben:

Sehr geehrte Damen und Herren,

Sonne, Sand, Meer – ein Plakat wirbt für den Urlaub an der Nordsee. Die Sehnsucht nach Weite ist geweckt: im Mund der salzige Meeresgeschmack, unter den Füßen der weiche, warme Sand, der Blick schweift in die Ferne, der Horizont weitet sich, kein Terminkalender ruft zur Pflicht, das Ohr hört das Rauschen der Wellen. Freiheit, Weite, Grenzenlosigkeit. Endlich die Seele baumeln lassen. Urlaub, danach sehnen sich in diesen Tagen viele.

Meer, Wind und Weite sind in diesen Tagen das eine. Wassermassen, die alles fortreißen, Bäume, Autos, Häuser, Straßen und Brücken, lassen uns die andere, gefährliche Seite des Wassers erfahren. Das Hochwasser kostet in diesen Tagen viele Menschen das Leben. In den von Hochwasser so hart betroffenen Regionen haben die Menschen große Sorgen und Existenzängste. Es berührt uns, wenn Opfer der Hochwasserkatastrophe oft unter Tränen erklären, wie dankbar sie seien, am Leben zu sein. Jeder Gedanke an Urlaub ist für die Menschen in den Hochwassergebieten wie weggeblasen. Das gilt auch für alle Helferinnen und Helfer, die aus anderen Gebieten Deutschlands jetzt den von dem Hochwasser betroffenen Menschen unterstützen.

Wasser, lebensnotwendig und lebensbedrohend zugleich. Es ist wie so oft im Leben, es gibt Freude und Leiden zugleich, zu allen Zeiten und weltweit; während in Deutschland die einen hoffentlich unbeschwert trotz der Pandemie in den Urlaub fahren können, müssen die anderen um die eigene Existenz, das Dach über dem Kopf, sauberes Wasser, Strom und Mobilnetz kämpfen. Diese Spannungen müssen wir aushalten, aber dürfen sie niemals als unveränderlich hinnehmen. Das heißt, es gilt vordringlich die Pandemie medizinisch und vor allem auch sozial zu überwinden und gleichzeitig den Klimaschutz viel intensiver voranzubringen und vor allem politisch durchzusetzen. Das gilt nicht nur hier in Deutschland, sondern global. Die Solidarität, egal ob beim Schutz vor einer Erkrankung mit Covid-19 als auch bei der Beseitigung der Hochwasserschäden, ist dringend notwendig nicht nur für unsere Mitbürgerinnen und Mitbürgern, sondern auch für die Menschen in anderen Ländern, die weit entfernt von unseren Möglichkeiten zur Hilfe sind.

Die Bewältigung von Krisen, Solidarität und Hilfsbereitschaft kosten Kraft und deshalb ist es für viele an der Zeit, in die Ferien nach mehr als einem Jahr voller Einschränkungen zu gehen. „So leer waren die Akkus von Menschen noch nie“ (Bertolt Meyer)[1]. Ferien, um endlich den von der Pandemie belasteten Alltag, der nun auch noch geprägt ist von den Bildern der Zerstörung durch die Hochwasserfluten, hinter sich zu lassen. Ferien, um neue Kräfte zu schöpfen, werden dann auch für die vielen von der Flutkatastrophe Betroffenen und ihre Helferinnen und Helfer wichtig sein, um die eigenen Akkus aufzuladen. Urlaub oder Ferien dürfen und sollen sein, um mit den Spannungen im Leben fertigzuwerden. Ein schlechtes Gewissen brauchen die Urlauberinnen und Urlauber nicht zu haben, wenn sie danach wieder als Teil von Nachbarschaft, Gesellschaft, globalem Dorf, Kirche oder einer anderen Religionsgemeinschaft Verantwortung für andere und die Schöpfung mit übernehmen.

Ausgerechnet Martin Luther, der heute als workaholic bezeichnet würde, gibt uns den spirituell-seelsorglichen Rat: „Man dient Gott auch durch Nichtstun“[2]. Sie dürfen ihn sich zu Herzen nehmen, bevor es für viele im Spätsommer irgendwann wieder losgeht.

Wir beten für die vielen Opfer der Hochwasserfluten, danken den Helferinnen und Helfern und wünschen Ihnen eine erholsame Sommerzeit. Wir freuen uns danach auf weitere Begegnungen und gemeinsames Engagement.

Bleiben Sie behütet

Ihre
Kerstin Gäfgen-Track und Andrea Radtke
Die Bevollmächtigten Kerstin Gäfgen-Track und Andrea Radtke


[2] Martin Luther 1530 in einem Brief an Philipp Melanchthon.