Vor 75 Jahren wurde der Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer erhängt

Nachricht 07. April 2020

Bonhoeffers Botschaft: Nimm selbst deine Verantwortung wahr

Dietrich-Bonhoeffer-Statue an der Westminster Abtei in London; Bild von falco auf Pixabay

epd-Meldung und ein Interview mit Prof. Dr. Wolfgang Huber über Bonhoeffer heute

Pastor gegen Hitler
Vor 75 Jahren wurde der Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer ermordet

Von Michael Grau (epd)

Hannover/Berlin (epd). Am frühen Morgen des 9. April 1945 ist der Gefängnishof des Konzentrationslagers Flossenbürg bei Regensburg durch Scheinwerfer schon hell erleuchtet. Aufseher führen sieben Nazi-Gegner aus ihren Zellen. Unter ihnen ist auch ein Pastor: Dietrich Bonhoeffer (1906-1945). Die Gefangenen hören, was ein NS-Standgericht in der Nacht beschlossen hat: Tod durch den Strang wegen Hochverrats. Adolf Hitler selbst hatte die Hinrichtung angeordnet. Bonhoeffer kann noch kurz beten. Dann muss er seine Kleider ablegen und die Richtstätte besteigen. "Ich sterbe als stummer Zeuge Christi unter seinen Brüdern", lautet sein letzter geschriebener Satz.

Bonhoeffer wurde nur 39 Jahre alt. Und doch hat kaum ein evangelischer Theologe des 20. Jahrhunderts so tief in Kirche und Gesellschaft hineingewirkt wie er. Straßen und Plätze, Schulen und Kirchen tragen heute seinen Namen, ein Kino-Film mit Ulrich Tukur erzählt seine Geschichte. Bonhoeffers leidenschaftlicher Protest gegen die Nationalsozialisten, seine aktive Rolle im Widerstand gegen Hitler, seine Bücher und sein Märtyrertod vor 75 Jahren finden weit über die deutschen Grenzen hinaus Beachtung.

"Er ist bekannt als einer, der zur Zivilcourage ermutigt und befähigt", sagt der Theologieprofessor Wolfgang Huber, einer der führenden Bonhoeffer-Experten in Deutschland. "Das hat dazu geführt, dass viele Menschen auch in schwieriger Situation sich an ihn gehalten haben und auch heute an ihm orientieren." Bei Bonhoeffer seien Glaube und Leben, Biografie und Theologie in ungewöhnlicher Weise zu einer Einheit verschmolzen, betont der frühere Berliner Bischof und ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).

Dietrich Bonhoeffer wird 1906 als Sohn eines Psychiatrie-Professors in Breslau (heute: Wroclaw) geboren und wächst mit sieben Geschwistern im Berliner Villen-Stadtteil Grunewald auf. Ungewöhnlich schnell kommt er an der Universität voran: Mit 21 Jahren ist er promoviert, mit 24 habilitiert, mit 25 Privatdozent. Zeitgenossen beschreiben ihn als intellektuellen Charakter, der sich klar und präzise ausdrückt.

Während eines Studienjahres in New York 1930/31 erlebt er hautnah die Rassentrennung, als ein schwarzer Freund und er in getrennten Straßenbahnwagen fahren müssen. In der US-Metropole macht er sich pazifistische Ideen zu eigen, vertieft sich in die Bibel und vor allem in die Bergpredigt. International vernetzt wie er ist, sind ihm alle Formen des Nationalismus zuwider.

Schon früh warnt er vor den Gefahren des Nazi-Regimes. In einer Berliner Rundfunk-Rede spricht er nur zwei Tage nach der Machtübergabe an Hitler 1933 davon, dass der "Führer" zum "Verführer" werden könne. Drei Monate später erwägt er unter dem Eindruck der beginnenden Judenverfolgung die Möglichkeit, "nicht nur die Opfer unter dem Rad zu verbinden, sondern dem Rad selbst in die Speichen zu fallen". Doch nur wenige Kirchenleute folgen dem jungen Pastor in dieser Einschätzung. Später sagt Bonhoeffer gegenüber einem Freund den vielzitierten Satz: "Nur wer für die Juden schreit, darf auch gregorianisch singen."

1935 tritt Bonhoeffer in den Dienst der "Bekennenden Kirche", die sich als Opposition gegen das Vordringen der Nazis in der Kirche gebildet hat. Er wird Leiter eines Predigerseminars in Pommern. Auch hier formuliert er radikal: "Wer sich wissentlich von der Bekennenden Kirche in Deutschland trennt, trennt sich vom Heil." Durch solche Äußerungen gerät er unter den Druck des Regimes: 1936 wird ihm die Lehrerlaubnis an der Uni entzogen, später folgen ein deutschlandweites Redeverbot und ein Veröffentlichungsverbot.

1939 wollen ihm Freunde eine Lehrtätigkeit in den USA vermitteln, damit er dem drohenden Krieg entgehen kann. Wieder fährt er nach New York. Doch schon nach fünf Wochen bricht Bonhoeffer das Vorhaben ab. Er will seine Familie und seine Seminaristen nicht alleinlassen: "Ich muss diese schwierige Periode unserer Geschichte mit den Christen in Deutschland durchleben."

Inspiriert durch seinen Schwager Hans von Dohnanyi schließt sich Bonhoeffer 1940 einer verdeckten Widerstandsgruppe gegen Hitler an. Der Theologe führt nun ein riskantes Doppelleben: Offiziell ist er Reiseagent des deutschen militärischen Geheimdienstes. Tatsächlich aber weiht er im Ausland kirchliche Mittelsmänner in Putschpläne gegen den Diktator ein. In immer neuen Anläufen skizziert er zugleich theologisch-ethische Antworten auf die drängenden Fragen seiner Zeit.

Mitten in den Kriegswirren verlobt sich Bonhoeffer 1943 mit Maria von Wedemeyer. Doch schon drei Monate später wird er verhaftet. In seiner Zelle in Berlin erfährt er vom misslungenen Staatsstreich am 20. Juli 1944. Hier schreibt er jene Briefe, die später unter dem Titel "Widerstand und Ergebung" weltberühmt werden. Im Gefängnis entsteht auch sein bekanntes Gedicht "Von guten Mächten wunderbar geborgen".

Heute ist Bonhoeffer für viele Kirchen und soziale Bewegungen eine Integrationsfigur. In jüngster Zeit machen sich auch neue Rechte - ausgehend von konservativ-evangelikalen Kreisen in den USA - Bonhoeffers Leben und Werk zu eigen. Sie nehmen ihn ausgerechnet für ihren Kampf gegen einen liberalen Zeitgeist in Anspruch. Wolfgang Huber warnt davor, Bonhoeffers Autorität für derartige Zwecke einzuspannen. Bonhoeffer lehrt laut Huber vor allem eins: "Nimm selber deine Verantwortung aus Glauben wahr." (6058/26.03.20)

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"Nimm selber deine Verantwortung wahr"

Der Theologe Wolfgang Huber über Dietrich Bonhoeffer

epd-Gespräch: Michael Grau

Hannover/Berlin (epd). Am 9. April jährt sich zum 75. Mal der Todestag des evangelischen Theologen und Nazi-Gegners Dietrich Bonhoeffer (1906-1945). Er wurde im Konzentrationslager Flossenbürg nördlich von Regensburg erhängt, weil er sich am Widerstand gegen Hitler beteiligt hatte. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Bonhoeffer durch seine Bücher und Briefe zu einem der am meisten zitierten Theologen in Deutschland. Über Bonhoeffers Bedeutung sprach der Evangelische Pressedienst (epd) mit dem früheren Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), dem Theologieprofessor und Bonhoeffer-Experten Wolfgang Huber.

epd: Dietrich Bonhoeffer ist der bekannteste evangelische Theologe des 20. Jahrhunderts. Was macht ihn so besonders?

Huber: In meinen Augen ist der Hauptgrund, dass wir bei ihm in einer ungewöhnlichen Weise eine Einheit von Leben und Glauben und von Lebensgeschichte und Theologie vor uns haben. Er ist bekannt als Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus. Er ist anerkannt als Märtyrer, der um seines Glaubens und seiner Gewissensüberzeugung willen gestorben ist. Und er ist bekannt als einer, der zur Zivilcourage ermutigt und befähigt. Das hat dazu geführt, dass viele Menschen auch in schwieriger Situation sich an ihn gehalten haben und auch heute an ihm orientieren.

epd: Sie haben einmal gesagt, Bonhoeffer sei eine Art evangelischer Heiliger. Dafür gab es viel Kritik. Stehen Sie noch dazu?

Huber: Ja, ich bleibe grundsätzlich dabei. Ich muss aber zugeben, dass es im evangelischen Bereich nicht durchsetzbar ist, ein Verständnis von Heiligen zu entwickeln, wie es dem evangelischen Bekenntnis entspricht. Im evangelischen Verständnis ist ein Heiliger derjenige, der für uns zum Vorbild im Glauben werden kann. Nur in diesem Sinn habe ich von Bonhoeffer als einem evangelischen Heiligen gesprochen.

epd: Ihr Buch über Bonhoeffer trägt den Titel "Auf dem Weg zur Freiheit". Ist Freiheit aus Ihrer Sicht das zentrale Thema von Bonhoeffer?

Huber: Es ist jedenfalls ein ganz zentrales Thema. Der Titel ist ein Zitat, nämlich die Überschrift eines Gedichtes aus seiner Gefängniszeit. Und seine Ethik macht ganz klar, dass die Zusammengehörigkeit von Bindung und Freiheit für ihn das Wesen der christlichen Existenz ausmacht.

epd: Ist Bonhoeffer ein Liberaler?

Huber: Nicht in dem Sinn, in dem wir heute den Liberalen verstehen. Bonhoeffer war zunächst kein in der Wolle gefärbter Demokrat. Er ist noch in der Zeit des Kaiserreichs geboren und aufgewachsen. Er hat die Zeit der Weimarer Republik mit all ihren Abgründen erlebt. Und er war dann ein Opfer einer Diktatur. Eine gefestigte Beheimatung in der liberalen Demokratie war nicht die Wirklichkeit, in der er aufwuchs und lebte. Und er war auch kein Liberaler in dem Sinn der Freizügigkeit, der Distanz zu allen Regeln. Seine Auffassung war, dass Menschen Regeln, Prinzipien, klare Grundorientierungen brauchen, aber dass sie diese Orientierungen aus eigener menschlicher Freiheit wählen und bejahen. Insofern war er nah an einem Begriff von Liberalität im Sinn der menschlichen Autonomie.

epd: Heute beschäftigen uns wie zu Bonhoeffers Zeiten wieder verstärkt Judenhass und Antisemitismus. War Bonhoeffer immun gegen Antisemitismus?

Huber: Ja, das kann man eindeutig feststellen. Er wuchs in einer Atmosphäre auf, in der Menschen jüdischer Herkunft für ihn selbstverständlich Freunde, Partner, Glieder befreundeter Familien waren. Er war von Anfang an immun gegen den Rassen-Antisemitismus der NSDAP. Das ging so weit, dass er im Jahr 1933 der erste war, der die ganz frühen Maßnahmen des Hitler-Regimes gegen die Juden bereits als ein Thema des Glaubens und des Gewissens verstand und von seiner Kirche erwartete, dass sie dazu vom ersten Augenblick an ganz klar Stellung nahm. Leider wurden seine Erwartungen bereits im Jahr 1933 enttäuscht.

epd: Kritiker beobachten zurzeit, dass rechtspopulistische Kreise und Politiker den deutschen Widerstand und auch Bonhoeffer für ihre Zwecke in Anspruch nehmen: Der Widerstand gegen die NS-Diktatur werde bisweilen mit deren eigener Rolle in der heutigen Gesellschaft verglichen. Wie beurteilen Sie das?

Huber: Falls jemand die eigene Rolle heute mit dem Widerstand gegen die NS-Diktatur vergleicht, hat er den Unterschied zwischen Demokratie und Diktatur nicht verstanden. Er missbraucht die Autorität Bonhoeffers für Zwecke, die mit dessen Leben und Theologie nichts zu tun haben. Denn Bonhoeffer hat sich für die Würde und die gleichen Rechte aller Menschen eingesetzt. Er hat dem Antisemitismus widerstanden und dabei hervorgehoben, dass Jesus Jude war. Jede Art von Diskriminierung und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit lag ihm völlig fern.

epd: Was ist aus Ihrer Sicht die Botschaft Bonhoeffers für uns heute?
Huber: Die Botschaft heißt: Nimm selber deine Verantwortung aus Glauben wahr. Verstecke dich nicht hinter anderen Autoritäten. Nimm die Situation genau wahr und vertraue darauf, dass das Gebot der Liebe zu Gott, zum Nächsten dir zeigen wird, welchen Weg du gehen sollst. (6061/26.03.20)

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Zur Person: Dietrich Bonhoeffer

Hannover/Berlin (epd). Der evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer wurde am 4. Februar 1906 als sechstes von acht Kindern im schlesischen Breslau geboren, dem heutigen polnischen Wroclaw. Er gehört zu den bekanntesten kirchlichen Widerstandskämpfern gegen den Nationalsozialismus und wurde wenige Wochen vor Ende des Zweiten Weltkriegs - am 9. April 1945 - im Konzentrationslager Flossenbürg bei Regensburg hingerichtet. Nach seinem Studium der Theologie in Tübingen und Berlin stand er nach der Machtübergabe an Hitler 1933 als Pfarrer und Privatdozent in kirchlicher Opposition gegen die Nationalsozialisten.

In der "Bekennenden Kirche" wendete Bonhoeffer sich gegen die Gleichschaltung des Christentums mit der Nazi-Ideologie. Dort war er unter anderem mit der Ausbildung von Pfarrern beauftragt. Später gehörte der Theologe zum erweiterten Kreis derjenigen, die auf einen Sturz des NS-Regimes hinarbeiteten und ein Attentat auf Adolf Hitler befürworteten. Im Ausland knüpfte er Kontakte und gab Informationen über die Pläne des deutschen Widerstandes weiter. Sein politisches Handeln begründete Bonhoeffer immer theologisch.

Die Gestapo verhaftete ihn 1943. Während seiner fast zweijährigen Haftzeit schrieb er zahlreiche Briefe und hinterließ mit seinen Gebeten, Gedichten, Predigten und ethisch-theologischen Studien ein umfangreiches Werk. Zahlreiche Schulen, Kirchen und Straßen sind heute nach dem Theologen benannt. (6060/26.03.20)

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