15. April: Vor 75 Jahren wurde das KZ Bergen-Belsen befreit

Nachricht 15. April 2020
The Liberation of Bergen-belsen Concentration Camp, April 1945 Cheerful women inmates collect their bread ration from one of the five camp cookhouses; Foto: BU 4274 from the collections of the Imperial War Museums.

Weil bittet Menschen in Niedersachsen kurz innezuhalten - Zentralrat der Juden: Erinnerung wichtig

Ministerpräsident Stephan Weil am 75. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Bergen-Belsen:

„Trotz all unserer aktuellen Sorgen im Zusammenhang mit dem Corona Virus bitte ich die Menschen in Niedersachsen heute kurz innezuhalten und an den 15. April 1945 zu denken, einen Tag der Trauer und der Befreiung.

Wir trauern um die vielen Frauen, Männer und Kinder, die in den Jahren 1940 bis 1945 hier mitten in Niedersachsen ums Leben gekommen sind. Unzählige weitere sind im KZ Bergen-Belsen inhaftiert, gedemütigt, misshandelt, ausgehungert und ausgebeutet worden. Es waren Menschen aus allen Teilen Europas - Menschen jüdischen Glaubens, Kriegsgefangene, politische Gegner des Nationalsozialismus und viele andere Gruppen mehr.

Bergen-Belsen ist für uns in Niedersachsen derjenige Ort, der uns die Grausamkeiten und die Unbarmherzigkeit des dunkelsten Teils unserer Geschichte vor Augen führt. Ich empfinde bei jedem Besuch dort immer wieder eine tiefe Beklommenheit in Anbetracht der unbeschreiblichen Verbrechen, die von Deutschen dort begangen worden sind.

Der 75. Jahrestag der Befreiung von Bergen-Belsen unterstreicht, wie wichtig Frieden und die Wahrung der Menschenrechte sind und dass insbesondere wir Deutschen alles dafür tun müssen, damit nie wieder Menschen anderen Menschen so unermessliches Leid zufügen.“

Hintergrund:
Am 15. April 1945, betraten die ersten britischen Soldaten das Konzentrationslager Bergen-Belsen. Mehr als 50.000 Menschen waren endlich frei.

Für viele der noch lebenden Bewohnerinnen und Bewohner des Lagers aber kam die Befreiung zu spät. Sie waren komplett ausgehungert und von Krankheiten gezeichnet. Trotz des immensen Einsatzes der britischen Truppen und des britischen Roten Kreuzes starben etwa 14.000 Menschen auch nach dem 15. April noch an den Folgen der KZ-Haft und an den grassierenden Seuchen.

Mehr als 50.000 Menschen sind insgesamt im KZ Bergen-Belsen gestorben, viele weitere sind von hier aus in Vernichtungslager gebracht worden. Noch in den letzten Tagen vor der Befreiung starben in Bergen-Belsen täglich fast 1.000 Menschen. Auf dem Gelände des Lagers fanden die Briten im April 1945 etwa 10.000 unbestattete Leichen.
Quelle: Pressemeldung der Nds. Landesregierung 
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In der Corona-Pandemie die Erinnerung an die Befreiung der NS-Konzentrationslager nicht vergessen
Berlin (epd). Der Zentralrat der Juden hat gefordert, in der Corona-Pandemie die Erinnerung an die Befreiung der NS-Konzentrationslager nicht zu vergessen. "Auch für die Stabilität unserer Demokratie ist es wichtig, sich immer wieder daran zu erinnern, wohin menschenverachtende Ideologien und die Missachtung demokratischer Grundrechte führen können", erklärte Präsident Josef Schuster am Dienstag. Die Erinnerung an den Holocaust gehöre zu Deutschlands Identität.

Schuster erinnerte an die Befreiung des KZ Bergen-Belsen am 15. April 1945. Der 75. Jahrestag der Befreiung sollte in vielen Gedenkstätten in diesem Jahr mit großen Veranstaltungen begangen werden. Für die Veranstaltung am kommenden Sonntag in Bergen-Belsen wurden nach Angaben der Gedenkstätte ursprünglich 5.000 Gäste erwartet, unter ihnen 120 Überlebende des Lagers.

Wegen der Corona-Pandemie wird es nun nur eine kleine Veranstaltung mit Kranzniederlegungen geben, an der unter anderem der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) und Michael Fürst als Verbandsvorsitzender jüdischer Gemeinden teilnehmen. In Bergen-Belsen starben während der NS-Zeit rund 20.000 Kriegsgefangene und mehr als 52.000 Häftlinge des Konzentrationslagers an Hunger und Seuchen, durch Übergriffe der SS oder an den Folgen der Haft. Darunter war auch das durch sein Tagebuch später weltberühmte jüdische Mädchen Anne Frank. Britische Truppen befreiten das Lager am 15. April 1945.

Schuster sagte, durch den Ausfall der großen Veranstaltungen könnten "die wenigen Überlebenden, die noch unter uns sind", nicht so gewürdigt werden, wie sie es verdient hätten. Die Gedenkstätte Bergen-Belsen hat die große Gedenkveranstaltung ins nächste Jahr verlegt. Schuster bezeichnete das als "richtige Entscheidung" und forderte daneben, die Gedenkstätten mit ausreichenden finanziellen Mitteln zu unterstützen.
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Gedenken in Bergen-Belsen nur im kleinen Rahmen

Bergen-Belsen/Kr. Celle (epd). Wegen der Corona-Pandemie wird die ursprünglich mit mehreren tausend Gästen geplante Gedenkveranstaltung an den 75. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslager Bergen-Belsen in diesem Jahr nur in kleinem Rahmen stattfinden. Am 19. April wollen der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD), Michael Fürst als Verbandsvorsitzender jüdischer Gemeinden und er selbst in Bergen-Belsen Kränze niederlegen, sagte der Leiter der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten, Jens-Christian Wagner, dem Evangelischen Pressedienst. Zudem hätten Landtagspräsidentin Gabriele Andretta, Wirtschaftsminister Bernd Althusmann (CDU) und Kultusminister Grant Hendrik Tonne (SPD) ihre Teilnahme angekündigt.

Der NDR werde ab 13 Uhr in einer halbstündigen Sondersendung berichten, sagte Wagner. Außerdem gebe es Informationen und Angebote zum Gedenken im Internet. Ursprünglich waren 5.000 Gäste erwartet worden, unter ihnen rund 120 Überlebende des Lagers. Die große Gedenkveranstaltung ist in das kommende Jahr verlegt worden. In Bergen-Belsen starben während der NS-Zeit rund 20.000 Kriegsgefangene und mehr als 52.000 Häftlinge des Konzentrationslagers an Hunger und Seuchen, durch Übergriffe der SS oder an den Folgen der Haft. Darunter war auch das durch sein Tagebuch später weltberühmte jüdische Mädchen Anne Frank. Britische Truppen befreiten das Lager am 15. April 1945.

Derzeit bereite die Gedenkstätte kurze Filme vor, in denen die Geschichte etwa des KZ und des Kriegsgefangenenlagers vorgestellt werden sollen. "Inhaltlich wollen wir aus der Not eine Tugend machen: Das heißt, statt der Reden, die es sonst an diesen Orten gegeben hätte, wird es deutlich mehr historische Information geben", sagte Wagner. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Gedenkstätte würden in den Filmen auch an zentralen Orten Blumen niederlegen. Zudem würden Teile der ursprünglich vor Ort geplanten Rede der KZ-Überlebenden Anita Lasker-Wallfisch eingespielt.

Die Filme stelle die Gedenkstätte auf ihrer Internetseite spätestens am 19. April bereit. Menschen, die Anteil nehmen wollten, könnten dann auch virtuell im ehemaligen Lagergelände Blumen oder Steine ablegen und das mit eigenen Gedanken verbinden. (9061/09.04.20)

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"Ich war wie ein Skelett"

Tomi Reichental überlebte als Kind Bergen-Belsen und setzt sich für das Erinnern ein

Von Karen Miether (epd)

Bergen-Belsen (epd). Tomi Reichentals Pläne für den 15. April sind "sehr einfach", wie er sagt. Am Nachmittag gegen zwei Uhr Ortszeit will der 85-Jährige zu Hause im irischen Dublin ein Glas mit Wein heben und anstoßen. Etwa zu dieser Zeit habe die britische Armee vor 75 Jahren das niedersächsische Bergen-Belsen erreicht und das Konzentrationslager befreit, in das er verschleppt worden war. "Ich werde mich an den Moment erinnern und daran, wie viel Glück wir hatten, weil wir überlebten." Tomi Reichental war neun Jahre alt, als seine Retter kamen, und ausgezehrt von Hunger und Durst. "Ich war wie ein Skelett", sagt er: "Nur Haut und Knochen."

In der Gedenkstätte Bergen-Belsen bei Celle wird in diesem Jahr angesichts der Corona-Pandemie die Erinnerung an den Jahrestag der Befreiung nur in kleinstem Rahmen begangen. Zu einer Kranzniederlegung am 19. April kommen Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD), die Landtagspräsidentin und zwei Minister sowie Michael Fürst als Verbandsvorsitzender jüdischer Gemeinden, sagt der Leiter der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten, Jens-Christian Wagner, der ebenfalls dabei ist. Der NDR übertrage einen Bericht. Zudem sei ein Online-Angebot geplant. Ursprünglich waren 5.000 Gäste erwartet worden, unter ihnen rund 120 Überlebende des Lagers - auch Tomi Reichental.

Im Februar war er das letzte Mal in Bergen-Belsen, gemeinsam mit einem britischen Fernsehteam. Erst vor wenigen Tagen hat der Sender UTV/ITV die dabei entstandene Dokumentation "Rückkehr nach Belsen" ausgestrahlt, erzählt Reichental. 60 Jahre lang hatte er über seine Kindertage im KZ nicht gesprochen, bis zu ihrem Tod 2003 nicht einmal mit seiner Frau. "Ich wollte es vergessen, aber so etwas kann man nicht vergessen", sagte er bei einem Treffen während seines Besuchs im Februar. Erst spät ist der Ingenieur zu einem der prominentesten Zeitzeugen des Holocaust in Irland geworden.

Aufgewachsen ist Tomi Reichental auf einem Bauernhof in der Slowakei. 1944 wurde er gemeinsam mit seiner Mutter, seinem Bruder, der Großmutter, der Tante und einer Cousine nach Bergen-Belsen verschleppt. "In dem Lager konnte ich nicht spielen wie ein normales Kind", sagt er. "Wir haben nicht gelacht. Wir haben nicht geweint. Wer aus der Reihe trat, konnte geschlagen werden, sogar bis zum Tod. Ich habe das mit eigenen Augen gesehen."

Tomi musste auch mit ansehen, wie seine Großmutter nach ihrem Tod auf eine Schubkarre geladen und auf einen Haufen voller Leichen gekippt wurde. Dieses Bild begleite ihn, sagt er. "Auch dann, wenn ich mich daran erinnere, wie sie in den Jahren zuvor mir Geschichten erzählt und mit mir Kekse gebacken hat."

In Bergen-Belsen starben während der NS-Zeit rund 20.000 Kriegsgefangene und mehr als 52.000 Häftlinge des Konzentrationslagers an Hunger und Seuchen, durch Übergriffe der SS oder an den Folgen der Haft. Darunter war auch das jüdische Mädchen Anne Frank, dessen Tagebuch später weltberühmt wurde. Unter rund 120.000 Menschen aus fast allen europäischen Ländern waren in Bergen-Belsen auch etwa 3.500 Kinder unter 15 Jahren inhaftiert, die meisten von ihnen Juden. Zeitzeuge Tomi Reichental war eines von ihnen.

Das erste Mal hat er in der Schule seiner Enkel von seiner Zeit im KZ berichtet. "Da hatte ich noch keine Erfahrungen. Ich sprach sehr offen", sagt Reichental. "Dann weinten 25 Kinder, ich weinte, die Lehrerin weinte." Bis vor kurzem war der 85-Jährige häufig zu Gast in Schulen und Universitäten oder bei Firmen. In Dokumentarfilmen und vor dem irischen Parlament hat er aus seinem Leben berichtet. Gerade schreibt Reichental an seinem dritten Buch, in häuslicher Isolation wegen der Corona-Pandemie hat er jetzt Zeit dafür. "Wir schulden es den Opfern, dass sie nicht vergessen werden", betont er.

Zugleich hat er die Zukunft im Blick. Der Holocaust habe nicht erst mit dem Abtransport von Menschen in Viehwaggons oder den Gaskammern begonnen, sondern mit der Diskriminierung im Alltag, mahnt er. Rassismus und Ausgrenzung müssten an den Wurzeln bekämpft werden. "Wir werden die Erinnerung hochhalten und ich hoffe, dass das noch viele Jahre so weitergeht." Die große Gedenkfeier mit Gästen aus aller Welt will die Gedenkstätte Bergen-Belsen im kommenden Jahr nachholen. (9065/09.04.20)
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