EuGH-Urteil: Kirchen in Niedersachsen wollen Richtlinien überprüfen

Nachricht 17. April 2018

EKD sieht Gestaltungsfreiheit der Kirchen eingeschränkt

Hannover (epd). Nach dem Luxemburger Urteil über die Bevorzugung von Kirchenmitgliedern bei Stellenbesetzungen wollen die evangelischen Kirchen in Niedersachsen ihre Richtlinien für die Einstellung von Mitarbeitern überprüfen. "Wir werden die Urteilsbegründung im Detail auswerten und bei der Umsetzung der Loyalitätsrichtlinie in unseren Kirchen berücksichtigen", erklärten die leitende Kirchenjuristin Stephanie Springer und Diakonie-Vorstandssprecher Hans-Joachim Lenke am Dienstag in Hannover. Kirche und Diakonie beschäftigen in Niedersachsen mehrere Zehntausend Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Springer ist Mitglied im Rat der Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte am Dienstag entschieden, dass beim Verlangen einer Kirchenmitgliedschaft als Voraussetzung für die Arbeit in einer kirchlichen Einrichtung "objektiv" ein direkter Zusammenhang zwischen der Konfession und der Tätigkeit bestehen muss. Das Verlangen einer Kirchenmitgliedschaft in der Einstellungspraxis kirchlicher Arbeitgeber im Einzelfall müsse zudem gerichtlich überprüfbar sein, urteilten die Richter in Luxemburg.

Die bestehende Loyalitätsrichtlinie nehme bereits wichtige Forderungen des EuGH auf, erklärten Kirche und Diakonie in Niedersachsen. Darin bestimmten die Kirchen, für welche Tätigkeiten die Zugehörigkeit zur evangelischen oder einer anderen christlichen Kirche zwingend erforderlich sei. Zugleich definierten sie, unter welchen Bedingungen Ausnahmen möglich seien. "In der Tradition deutscher Verfassungsrechtsprechung ist die Formulierung der Kriterien ein originäres Recht der Religionsgemeinschaften", betonen Springer und Lenke: "Der EuGH ermahnt uns in seinem Urteil, die Regelungen klar zu beschreiben, konsequent umzusetzen und den Bezug auf den kirchlichen Auftrag zu benennen."

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) teilte mit, sie sehe durch das Luxemburger Urteil ihre Gestaltungsfreiheit eingeschränkt. Die Prägung der Arbeit in der Kirche hänge maßgeblich an den Personen, die ihren christlichen Glauben und ihre christliche Haltung in das Wirken der Einrichtungen und Unternehmen von Kirche, Diakonie und Caritas einbringen, sagte der Präsident des EKD-Kirchenamtes, Hans Ulrich Anke, in Hannover. Deswegen sei es wichtig, dass den Kirchen Gestaltungsfreiheit bei der Personalauswahl gewährleistet werde. Diese Freiheit schränke der EuGH nun über das Europarecht ein.

Der Kirchenrechtler Hans Michael Heinig sagte im Blick auf das Urteil, die Kirche werde künftig ihre Anforderungen an Bewerber bezogen auf Einrichtung und konkreten Arbeitsplatz stärker begründen oder auf das Erfordernis einer Religionszugehörigkeit für manche Bereiche ganz verzichten müssen. "Die Gerichte in Deutschland werden intensiver als bislang prüfen, ob im konkreten Fall die Anforderung der Religionszugehörigkeit gerechtfertigt ist", sagte der Göttinger Jura-Professor dem epd.

Zugleich prognostizierte Heinig geringe Auswirkungen des Urteils: An der Einstellungspraxis werde sich vorerst nicht viel ändern, denn eine Grundloyalität zum Arbeitgeber dürfe weiter verlangt werden. Ausgangspunkt der EuGH-Entscheidung war der Fall einer konfessionslosen Frau aus Berlin. Sie hatte sich erfolglos beim Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung beworben und daraufhin wegen religiöser Diskriminierung auf Schadensersatz geklagt.

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Kirchenjuristin: Europäisches Urteil bestätigt kirchliches Recht

Oldenburg/Luxemburg (epd). Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat nach Ansicht der oldenburgischen Oberkirchenrätin Susanne Teichmanis mit seinem Urteil über die Bevorzugung konfessionell gebundener Bewerber bei kirchlichen Arbeitgebern grundsätzlich das kirchliche Selbstbestimmungsrecht bestätigt. Damit bleibe dieses Recht der wesentliche Faktor bei Abwägungsentscheidungen, sagte die leitende Juristin der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Oldenburg am Dienstag. Kirche und Diakonie könnten ihr Arbeitsrecht also weiterhin autonom gestalten.

Eine konfessionslose Berlinerin hatte sich erfolglos beim Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung beworben und daraufhin wegen religiöser Diskriminierung geklagt. (AZ: C-414/16) Mittlerweile wird der Fall vor dem Bundesarbeitsgericht verhandelt. Die Arbeitsrichter hatten den EuGH um eine Auslegung der Antidiskriminierungsrichtlinie gebeten.

Laut dem EuGH stehe es zwar den staatlichen Gerichten in der Regel nicht zu, über das Ethos kirchlicher Arbeitgeber als solches zu befinden, mit dem das Erfordernis der Konfession begründet wird. Die Gerichte hätten aber festzustellen, ob die Voraussetzung einer bestimmten Konfession mit Blick auf dieses Ethos im Einzelfall "wesentlich", "rechtmäßig" und "gerechtfertigt" sei.

Teichmanis zufolge müsse nun das Urteil des Bundesarbeitsgerichts in dem Fall der Berliner Frau abgewartet werden. Anschließend sei zu prüfen, ob die Entscheidung mit dem Religionsverfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland vereinbar ist. Es sei fraglich, wie die Gerichte im religiös neutralen Deutschland differenziert die Anforderungen kirchlicher Arbeitgeber an ihre Mitarbeitenden beurteilen wollen, sagte die Kirchenjuristin.

Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht erlaube es den Kirchen, selbst zu formulieren, welche Anforderungen an kirchliche Arbeitnehmer zu stellen seien, unterstrich Teichmanis. Die hierzu getroffenen Entscheidungen dürften laut der deutschen Verfassung von staatlichen Gerichten nicht überprüft werden. Dies gebietet die Trennung von Staat und Kirche.

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Jurist: Anforderungen an Bewerber stärker begründen

Göttingen/Berlin (epd). Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) über die Bevorzugung konfessionell gebundener Bewerber bei kirchlichen Arbeitgebern fordert nach Ansicht des Kirchenrechtlers Hans Michael Heinig vor allem die Kirchen selbst zum Handeln auf. "Die Gerichte in Deutschland werden intensiver als bislang prüfen, ob im konkreten Fall die Anforderung der Religionszugehörigkeit gerechtfertigt ist", sagte der Göttinger Jura-Professor dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die Kirche werde ihre Anforderungen an Bewerber bezogen auf Einrichtung und konkreten Arbeitsplatz künftig stärker begründen oder auf das Erfordernis einer Religionszugehörigkeit für manche Bereiche ganz verzichten müssen, sagte er.

Zugleich prognostizierte Heinig geringe Auswirkungen des Urteils: An der Einstellungspraxis werde sich erst einmal nicht viel ändern. "Eine Grundloyalität zum Arbeitgeber darf nämlich weiter verlangt werden", sagte er. Der Jurist verwies auf das Festhalten des EuGH am Grundsatz, dass das Ethos einer Religionsgemeinschaft nicht einer gerichtlichen Überprüfung unterliegt. "Sonst führt es dazu, dass Gerichte der Kirche erklären, was sie unter Dienstgemeinschaft verstehen soll. Das wäre Richtertheologie und verfassungswidrig", sagte er und ergänzte: "Wer für die evangelische Kirche arbeiten will, muss sich auch ein Stück weit mit ihr identifizieren. Diesen Grundsatz hat der EuGH nicht infrage gestellt."

Dennoch sieht Heinig Schwierigkeiten durch das EuGH-Urteil: Das Erfordernis einer Religionszugehörigkeit bei Stellenbesetzungen müsse nach dem Urteil "objektiv geboten" sein. "Das läuft auf die Quadratur des Kreises hinaus. Denn so müssen Gerichte doch implizit über theologische Fragen entscheiden", sagte er.

Damit nicht ausschließlich weltliche Bewertungen an die Stelle kirchlicher Kriterien treten, müssten die Anforderungen an die Mitarbeit stärker von der Kirche selbst begründet werden, forderte Heinig. Die Loyalitätsrichtlinie der EKD, in der Voraussetzungen für Arbeitnehmer beim Arbeitgeber Kirche formuliert sind, sehe eine solche konkrete Begründungspflicht bislang nicht vor.

Wenn die EKD an der bisherigen Rechtspraxis festhalten wolle, müsse sie das eigene Recht ändern, sagte Heinig. Sie könne ansonsten überlegen, ob sie Reformvorschläge wie den des EKD-Ratsmitglieds Jacob Joussen aufnimmt "und für viele Tätigkeitsfelder ganz auf das Kriterium der Religionszugehörigkeit verzichtet", sagte der Kirchenrechtler.

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